136 Seemeilen bis Guadeloupe

Veröffentlicht am 12. April 2025 um 14:54

Wir verlassen Martinique, laden unterdessen zwei Fremde auf und segeln via Dominica nach Guadeloupe. Das Leichtwindsegel wird getestet und wir kämpfen um eine letzte Mooring-Boje.

Von Fremden zu Freunden

Wir sind gerade dabei, die letzten Nahrungsmittel aufs Dinghy zu wuchten, welches am Pier von St. Pierre festgebunden ist.
Plötzlich stehen eine junge Frau und ein junger Mann vor uns, beide braun gebrannt, mit grossem Rucksack und noch grösserem Lächeln. "Vous naviguez vers Guadeloupe?", werden wir gefragt. Nun ja, das ist schon der Plan. Aber haben wir Kapazität für zwei Mitreisende?
Vom Boot her sicher, genügend Kojen sind vorhanden. Aber haben wir genug Segelerfahrung, soziale Energie und Französischkenntnisse? 
Das mit dem Französisch klärt sich schnell, denn die beiden sprechen sehr gut Englisch! ;-)

Wir sind uns auf Anhieb sympathisch und als wir ihnen unsere Anfänger-Situation erklären, sind sie Feuer und Flamme.
Sie sind seit einem halben Jahr am Boots-Hitchhiken, also am per Anhalter mitsegeln. Sie haben so den Atlantik überquert, viel Erfahrung gesammelt und würden uns sehr gerne helfen. Wir könnten zusammen dieses Abenteuer der grossen Passage wagen.

Nach einem Blickwechsel mit Luca und kurzem Austausch auf Schweizerdeutsch sind wir uns einig - die zwei passen super zu uns!
Kurzerhand laden wir sie oben auf unsere Einkäufe und halten auf Ti Moun zu.

Die erste Passage übers offene Meer

Am nächsten Morgen ist um 6:00 Uhr Morgenkaffee angesagt. Wir checken nochmals die Route mit den vorhergesagten Windverhältnissen und legen ab, in Richtung Roseau auf Dominica.
Dies ist unsere erste Passage über den offenen Atlantik. Es herrschen nicht nur Atlantikverhältnisse was den Wind und die Wellen angeht, sondern sie werden durch den Channel-Effekt noch verstärkt. All das Wasser, was von Afrika nach Westen geblasen wird, muss durch den Channel zwischen den Inseln Martinique und Dominica. Das ist nicht wenig!

Wir bereiten uns vor, in dem wir alles Niet- und Nagelfest verstauen, einen Nudelsalat vorkochen und alle Seeventile schliessen.
Die ersten paar Meilen sind ruhig mit 10 Knoten Wind, da wir uns noch in der Landabdeckung von Martinique befinden. Vorsorglich haben wir die Segel jetzt schon im 2. Reff (verkleinert) gesetzt, um später nicht von den Böen überrascht zu werden.

Aus der Abdeckung raus erwartet uns der raue Atlantik! Die Wellen türmen sich auf und der Wind peitscht uns mit 20-25 Knoten ins Gesicht.
Die 11.40m von Ti Moun fühlen sich gerade ziemlich klein an, wir stehen bange hinter dem Steuerrad und werden immer wieder von einer Gischtwolke überspült.
Doch mit der Zeit spüren wir, dass unser Boot genau dafür gebaut wurde. Es lässt sich mit ganz sanften Bewegungen steuern und es reagiert extrem schnell. Nach jedem Wellenberg richtet es sich wieder auf und fährt seinen Kurs unbeirrt weiter - macht das auf einmal Spass!

Nur ans Fotografieren bei solchen Bedingungen denkt keiner! Naja, dann eben ein paar Eindrücke, als wir noch gemütlich hinter der Windabdeckung segeln...

Wozu eine Flaute gut sein kann

Gleich am nächsten Morgen segeln wir weiter in Richtung Îles des Saintes, einer Inselgruppe, die zu Guadeloupe gehört. 

In der Windabdeckung von Dominica kommen wir in eine Flaute. Zuerst sind wir enttäuscht und angespannt, da die Windprognose ganz anders war und es knapp werden könnte, noch bei Tageslicht anzukommen. Doch dann kommt Luca auf die Idee, das Leichtwindsegel zu testen.

Mit dem Boot haben wir auch ein nigelnagelneues Leichtwindsegel gekriegt, genauer gesagt, einen Gennaker.
Richtig old school, ohne Bergesack, Baum oder sonstiger Schnickschnack lag es unter unserem Bett. Es scheint etwa 20-jährig zu sein, aber wurde wohl nie oder nur ganz selten einmal gebraucht.
Wir sortieren Leinen, überlegen uns, welche Ecke des Segels wo angeschlagen werden soll und ziehen es schlussendlich hoch. Emilie und Clement, unsere Passagiere, helfen tatkräftig mit.

Wow ist das toll!! Die leichte Briese öffnet das Segel und die Sonne lässt das Türkisgrün erstahlen! Wir strahlen im Gleichtakt mit!
Ganz entspannt schiebt es Ti Moun in die gewünschte Richtung, wir sind echt überglücklich.
Leider stirbt nach nur 10min der Wind ganz und der etwa halbstündige Aufbauprozess wird jetzt im Rückwärtsgang nochmals repetiert. Viel Aufwand für eine kurze Freude - aber welche!
Es bleibt uns nichts andres übrig, wir müssen den Motor starten. Doch schon bald türmen sich dunkle Wolken auf.
Ein Squall (lokale Schlechtwetterzelle) baut sich direkt neben uns auf. Schnell setzen wir die Segel wieder und reiten in den Ausläufern dieses Squalls den ganzen Windschatten durch. Das lief ja besser als gedacht!

Wettkampf um die letzte Boje

Nun sind wir schon 9h unterwegs. Hungrig, erschöpft und mit sonnenverbrannten Nasenspitzen wollen wir nur noch ankommen.

Wir haben gelesen, dass es auf den Îles des Saintes wenig Ankerplätze gibt, da der Grund schnell zu steil abfällt. Darum wurden an drei Orten Mooring-Bojen im Boden verankert, an welchen Boote gegen Geld (20 - 25 Euro pro Nacht) anlegen dürfen.

Wir fahren auf den ersten Ort zu. Da sind alle Bojen belegt. Wir fahren auf den zweiten Spot zu - da ist noch eine einzige Boje frei!
Wir geben Gas, doch von links kommt ebenfalls ein Boot auf die Boje zugeschossen. Luca drückt den Gashebel nach vorne, wir liegen Bug an Bug im Wettrennen, wir könnten gewinnen!
Doch dann ruft der Mann auf Französisch rüber: "Nous avons réservé cette bouée!" Ohje, die haben die Boje reserviert! Enttäuscht drehen wir ab. Clement fragt noch nach, wo er denn genau die Boje reserviert habe - bei der Capitanerie, kommt als Antwort. Also funken wir das erste Mal mit unserem VHF drauflos. 
Auf Kanal 9 erreichen wir die Capitanerie, doch da kann man keine Bojen reservieren. Wir sollen es auf Kanal 7 versuchen. Auf Kanal 7 antwortet niemand. Wir funken nochmals zurück und kriegen nun die Antwort, Kanal 10. Dort erreichen wir zwar jemanden, aber der hat keine Mooring-Bojen zu vergeben. Allgemein könne man eigentlich gar keine Bojen reservieren. Was?!
Da hat uns doch der Franzose stinkfrech angelogen!

Nun bleibt noch die letzte Bucht, um eine Boje zu finden. Doch auch hier sind alle vergeben. Ohjee, es wird bald dunkel und wir können unser Boot nirgends festmachen. Wir sind müde, etwas hässig und sehr hungrig. Was tun?

Nach mehrmaligem Aufkreuzen entscheiden wir uns, auf etwa 13m Tiefe zu ankern. Bis jetzt haben wir nie tiefer als 7m geankert, dementsprechend gespannt sind die Nerven. Wie viel Kette gibt man da?
Wir fragen Google und kriegen die folgende Antwort:
Bei gegebener Kettenlänge Lund Ankertiefe y2, sowie bei gegebener Windkraft, also a, darf die Steigung b der am Anker angreifenden Kette nicht vernachlässigt werden.
Aha ja, logisch.

Da uns so viel Mathematik in Schreikrämpfe und Schweissausbrüche versetzt, entscheiden wir uns einfach für 45m plus Ankerkralle. Wir fahren den Anker ein und beim 2. Versuch sind wir auch mit dem Abstand zu den anderen Booten zufrieden.
Alle Ankeralarme sind gesetzt und die Seitenpeilung hat gehalten, bis es dunkel wurde. Todmüde fallen wir in unsere Kojen.

Gwada!

In den paar Tagen auf den Îles des Saintes haben Luca und ich die letzten Bootsjobs erledigt, währenddessen Emilie und Clement die Inseln, Buchten und Wracks erkundeten. Sie schwärmten jeden Tag so von ihren Abenteuern, dass wir entschieden, mit unseren bald anreisenden Freunden hierher zurückzukommen.

Nun bleibt uns noch die Überfahrt nach Guadeloupe, von den Creolen auch Gwada genannt, um die erste grosse Passage abzuschliessen.
Die Segel werden erneut in den Reffs gesetzt, da wir eine unglaublich windige Zeit erwischt haben. Wir flitzen mit 8 Knoten (für ein Segelboot im 2. Reff echt schnell) durch die Wellen und haben den grössten Spass!
Auf Ti Moun fühlt sich das Segeln richtig an. Man spürt den Wind, die Bewegungen des Schiffs und des Wassers. Auf den grossen Katamaranen konnten wir teilweise nur von innen die Knöpfe des Autopiloten drücken, denn das Lenkrad war gar nicht an die Hydraulik angeschlossen und den Wind hat man durch das viele Plexiglas auch nicht gespürt. Das hier ist eine ganz andere Welt. Wir sind auf alle Fälle 
überglücklich mit unserem Kauf!

In La rivière Sens, einem kleinen Ort an der Westküste Guadeloupes, ist Charlie zu Hause. Dies ist das Boot, mit welchem Emilie und Clement den Atlantik überquert haben. Wir lernen Gaeton, den Besitzer kennen und geniessen die vielen Apéros!

Emilie weiht uns sogar in ihr sorgsam gehütetes Familienrezept des Inseldrinks ein, des Ti' Punchs. Hierfür werden weisser Rum Agricole, Zuckerrohrsirup, Limetten und ein paar geheime Zutaten gemixt und danach genüsslich geschlürft. Mjam!

Les Chutes du Carbet

Mit einem Knall schliesst sich die Heckklappe des Renauts und Luca und ich kauern hinten am Boden des Lieferwagens.
In der ersten Kurve werden wir noch umhergeschleudert, in der zweiten haben wir uns tiptop auf unseren mitgebrachten Kissen positioniert. Heute dürfen wir den Zweiplätzer von Gaeton ausleihen, um zu viert die bekanntesten Wasserfälle der Insel zu erkunden, die Chutes du Carbet. 

Die kurvige Strasse führt immer höher die dicht bewachsenen Vulkanhänge hinauf. Es wird nebliger, kühler und die Pflanzen nehmen riesige Ausmasse an! Ein Farnbaum so hoch wie eine Palme und Schlingpflanzen, die Blätter so gross wie Kühe. Unglaublich!

Ebenso unglaublich ist, wie schnell wir beim Wandern ausser Atem geraten. Huii, wir sind ewigs nicht mehr so viele Schritte gelaufen!
Doch der rote Kopf und der schweissnasse Rücken werden belohnt. Wir biegen um die letzte Kurve und da rauscht der Wasserfall in die Tiefe.

Nach einem erfrischenden Bad sind wir auch wieder bereit, den Rückweg anzutreten. Das war ein grossartiger Tag!

Emilie und Clement ziehen an diesem Abend wieder auf Charlie, ihr Atlantikboot. Wir hatten eine tolle Zeit zu viert auf Ti Moun und wir sind ihnen sehr dankbar für diese Erfahrung! Besonders geschätzt haben wir ihre tatkräftige Hilfe und dass sie uns 'dix mille', ein französisches Würfelspiel, beigebracht haben.
Merci pour tout et à bientôt à La Rochelle!

Fort Delgrès und ein unverhofftes Geschenk

Das Fort Delgrès liegt majestätisch auf dem Hügel oberhalb unserer Bucht. 

Wir haben wenig erwartet und wurden von der beeindruckenden Geschichte sofort in den Bann gezogen.
Das Fort wurde 1650 von den Franzosen erbaut. In den nächsten Jahrhunderten war es immer wieder Zentrum heftiger Kämpfe. Es wurde einmal von den Engländern eingenommen, dann wieder von den Franzosen und wieder zurück.

1794 war Guadeloupe wieder unter französischer Herrschaft. Victor Hugues schaffte daraufhin die Sklaverei ab, welche bis anhin auf den gesamten Antillen sehr verbreitet war. Die Creolen, also die Urbevölkerung der Insel, wurden weniger unterdrückt und allgemein erhob sich ein besserer Lebensstandard. 
Doch als Napoleon Bonaparte 1802 Kaiser von Frankreich wurde, wollte er die Reichtümer der Sklaverei nicht missen und schickte General Richepanse nach Guadeloupe, um sie wieder einzuführen.

Doch die Franzosen hatten die Rechnung ohne die Insulaner gemacht. Louis Delgrès und seine Waffenbrüder besetzten das Fort und verteidigten es gegen die Franzosen. Von Richepanses Soldaten umzingelt, zogen sie sich auf eine höhergelegene Plantage zurück, wo sie weiter Wiederstand leisteten. Und als die Niederlage nicht mehr abzuwenden war, zogen Delgrès und einige seiner Männer es vor, die Plantage und sich selbst in die Luft zu sprengen, anstatt sich zu ergeben.

Heute erinnert das Fort Louis Delgrès an die schrecklichen Zeiten der Sklaverei, aber auch an die Hoffnung und den Wiederstand der Insulaner. Delgrès selbst wird als Held gefeiert und die Skulpturen zeigen die Wertschätzung, die er heute noch kriegt.

 

Später am Abend fährt in der Ankerbucht ein Dinghy zu uns rüber. Ein junger Mann fragt mit starkem Akzent auf Englisch, ob wir Fisch mögen.
Wir antworten auf Hochdeutsch: "Ja eh!"
Daraufhin fährt Luca rüber und holt ein halbes Kilo frischesten Thunfisch. Johannes, der Deutsche, hat ein 6kg-Mocken aus dem Meer gefischt und kann nicht alles alleine essen. Na dann helfen wir gerne! Zusätzlich erhalten wir noch tolle Tipps zu der Insel Dominica.

Turbulenter Tauchgang in Mazarin

Wir sitzen in unsere Neoprens gehüllt auf dem Zodiac, dem Tauchboot, und rasen an der Küste Guadeloupes entlang.
Unser Tauchguide bespricht den Tauchspot mit uns und meint, es werde absolut easy. Wir gehen nicht tief runter, es gibt keine Strömung und der Platz ist übersichtlich. Es sind also absolut keine Probleme zu erwarten.

Wir lassen uns ins blaue Nichts fallen und geniessen, wie die Welt verschwindet. Alle Sorgen fallen ab und wir gleiten mit ruhigen Flossenschlägen durch die Unterwasserwelt. Wir sehen unzählige Fische, Korallen und sogar ein Seepferdchen! Dieses ist sehr schwer zu finden und daher ein seltener Anblick auf unseren Tauchstreifzügen.

Als nach 70min der Gedanke ans Auftauchen kommt, merke ich plötzlich, wie mich jedes Einatmen sehr heftig nach oben zieht. Dies ist ein schlechtes Zeichen, denn ein plötzlicher, unkontrollierter Aufstieg könnte tödlich enden.

Ich kicke mit den Flossen nach unten, um ja nicht hochzuschiessen und packe unseren Diveguide an den Flossen. Per Handzeichen gebe ich ihm Bescheid, dass meine Tarierung (Gleichgewicht zwischen Auf- und Abtrieb) nicht mehr stimmt.
Der Guide selbst hatte mir nämlich empfohlen, nur 2 Kilogramm, anstelle der gewohnten 3kg, einzustecken. Ich war skeptisch und daraufhin meinte er, er würde ein Extrakilo bei sich tragen, falls ich am Schluss zu viel Auftrieb hätte.
Nun stecken wir also genau in dieser Situation und ich erwarte, dass er jeden Moment bei sich in die Neoprentasche greift und mein Extrakilo hervornimmt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Er schwimmt von mir weg zu einer anderen Tauchgruppe. Ehm hallo?!

Ich atme so flach ich kann und schwimme ihm, mit dem Kopf nach unten, nach. Luca schaut aus der Tiefe mit grossen Augen zu mir empor.
Der Tauchguide geht doch tatsächlich zu seiner Kollegin, um von ihr ein Extrakilo abzuluchsen. Sie hatte eine Anfängergruppe und trägt deshalb mehrere solche mit sich. Als er es mir überreicht, kriege ich die Kontrolle über meine Tarierung zurück und ein sicherer Aufstieg wird möglich.

Auf dem Boot meinte er dann zerknirscht, dass er das Extrakilo vergessen hätte, aber das ja nicht so schlimm gewesen sei. Das ist in diesem Fall wohl Ansichtssache!

Ausblick

Nun kommen in ein paar Tagen Freunde aus der Schweiz zu Besuch.
Wir freuen uns enorm, ihnen das Segelleben zeigen zu können und packen die letzen Bootsjobs an. 

Die Backbordkoje hatte seit Jahren einen Wasserschaden, worauf das ganze Holz modrig geworden ist. Luca tauschte das Holz schon vor Monaten aus, jetzt schleifen wir es abschliessend und streichen es weiss.
Ebenso fallen ein paar Fugen auseinander und die 'Rennstreifen' unter den Luken im Salon ebenfalls. Wir fugen, schleifen, streichen und kleben ab wie die Weltmeister. Luca überholt noch die beiden Winschen, die das Grosssegel bedienen.
Pünktlich am Tag bevor unsere Freunde ankommen, klatschen wir uns ab! Geschafft!

Ti Moun und wir sind bereit für die nächsten Abenteuer!


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Kommentare

David
Vor 13 Tage

Luca du bist mein Held!